Wer hat Mut zum «Reverse Mentoring»?

    Mentoring «verkehrt» – Wenn der Junior den Senior coachen soll

    Viele Unternehmen erleben eine Strukturanpassung oder diese steht unmittelbar bevor. Das ist ein Prozess, der nicht ohne Nebenwirkungen bleibt. Besonders nicht bei betroffenen Mitarbeitenden. In solchen Situationen ist betriebliches Mentoring gefragt. Im klassischen Mentoring kümmert sich ein Dienstälterer um eine in einem Fachgebiet noch unerfahrene jüngere Person, damit diese sich in vordefinierten Bereichen schnell und ohne Umwege weiterentwickeln kann. Im Reverse Mentoring funktioniert das genau anders herum: Der Junior coacht den Senior auf jenen Themengebieten, die Jung besser kann als Alt. Aber: Nicht alle haben den Mut zu solch einem Rollentausch.

    (Bild: zVg / LWO) Im Normalfall werden die erfahreneren Mitarbeiter/innen zu Mentorinnen und Mentoren. Manchmal macht es aber sogar mehr Sinn, wenn man die Rollen vertauscht.

    Regina Widmer ist bei der Lernwerkstatt Olten zuständig für die Organisations- und Personalentwicklung und leitet den Bereich «Produkte Coaching/Mentoring». Als Betriebsökonomin hat sie vor über 20 Jahren via Qualitätsmanagement die Passion für die Organisations- und Personalentwicklung entdeckt und auch das grosse Bedürfnis vieler Branchen nach einem effizienten und nachhaltigen betrieblichen Mentoring. Mit der Transformation der Arbeitswelten 4.0 und 5.0 hat sich dieses sogar noch stärker entwickelt.

    Regina Widmer: «Das Berufsbild der betrieblichen Mentorin, beziehungsweise des betrieblichen Mentors begeistert mich in seiner ursprünglichen Form und motiviert mich auch heute bei der täglichen Arbeit.» Sie betont, dass man sich dabei auf ein ressourcen- und lösungsfokussiertes Vorgehen konzentriere und sich am systemisch-konstruktivistischen Denken orientiere. «Dabei entwickeln unsere Teilnehmenden eine autonomiefördernde Grundhaltung, die ihren Mentees in der professionellen Begleitungsarbeit zu nachhaltigem Erfolg verhilft.»

    Ein echt spannender Prozess
    Betroffene zu Beteiligten zu machen, das sei zum Beispiel ein wichtiges Motto in der Begleitungsarbeit. «Die Aufgabe ist, den Mitarbeitenden den Sinn ihrer Arbeit zu vermitteln und mit klaren Strukturen Orientierung zu geben. Daneben ist es wichtig, den Mitarbeitenden innerhalb ihres Verantwortungs- und Aufgabenbereichs einen möglichst grossen Gestaltungsspielraum zu ermöglichen und Perspektiven aufzuzeigen», so Widmer.

    Mentoring-Bedürfnis steigt bei Auszubildenden
    Nach den Sommerferien 2022 drängen nun wieder viele Lernende und Praktikantinnen und Praktikanten in den Arbeitsmarkt. Sie alle wollen mit einen guten Mindset auf ihrem neuen Weg begleitet werden. Auch hier bietet sich gutes Coaching und Mentoring an.

    Nun ist diese Aufgabe gespickt mit viel Verantwortung und erfordert viel Weitblick und Erfahrung. Dennoch liegt es im Trend, dass immer mehr Jüngere sich zu betrieblichen Mentorinnen und Mentoren ausbilden lassen wollen. Einer der Gründe: Die digitale Fitness im Unternehmen muss oftmals erhöht oder Prozesse und Strukturen verjüngt werden. Es geht darum, altgewohnte Denk- und Arbeitsweisen an die Erfordernisse der Zukunft anzupassen sowie ältere Kollegen, Kader und das Topmanagement mit der Lebenswelt der Millenials besser vertraut zu machen. Insofern eignet sich das Reverse Mentoring für Konzerne genauso wie für KMU.

    Die Grundvoraussetzungen: Zwischen Mentor/in und Mentee dürfen keine Konkurrenzsituation und auch keine hierarchische Abhängigkeit bestehen. Zuverlässigkeit, Integrität, Offenheit und Ehrlichkeit sind ein Muss. Zudem braucht es Freiwilligkeit auf beiden Seiten verbunden mit absoluter Diskretion. Die Akteure müssen menschlich zueinander passen sowie Vertrauen und Respekt für einander empfinden. Sie betrachten sich als gleichwertig und begegnen sich auf Augenhöhe.

    Immer auf Augenhöhe
    Der Dialog zwischen Jung und Alt zu unterschiedlichen Ansätzen und Standpunkten über Generationen und Hierarchien hinweg kann die Unternehmenskultur insgesamt befruchten und das Verständnis füreinander verbessern. Der Wissenstransfer wird optimiert und die Lernpyramide auch mal auf den Kopf gestellt. Zudem wird eine grössere Aufgeschlossenheit für Zukunftsthemen erreicht und vielleicht sogar der digitale IQ im gesamten Unternehmen gesteigert. Zudem können etwaige Blockaden der älteren Mentees gelöst, Veränderungsängste abgebaut, festgefahrene Mindsets gelockert und Generationen-Vorurteile beseitigt werden. Der Mentee kann von der unverstellten Wahrnehmung der jungen Kollegen profitieren und neue Sichtweisen gewinnen. Schliesslich kann es auch darum gehen, wie die Millenials geführt werden wollen, um so die eigenen Leadership-Kompetenz zu optimieren.

    Die Mentoren, die auch aus dem Kreis der Auszubildenden, Berufseinsteiger und so genannten High Potentials rekrutiert werden können, erfahren durch ihren Einsatz eine hohe Wertschätzung. Sie bekommen Sichtbarkeit im Unternehmen, verbreitern ihre fachlichen und zwischenmenschlichen Kompetenzen, erweitern ihr persönliches Netzwerk, gewinnen direkten Zugang zur Unternehmensspitze und pushen damit auch ihren Karriereweg.


    Tipp – Informativ und unterhaltsam
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    Coach und Mentor werden
    Die Lernwerkstatt Olten bietet an zwölf Standorten, neu auch online, Weiterbildungen zum Coach und zum betrieblichen Mentor / zur betrieblichen Mentorin mit eidg. Fachausweis an.

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